Zum bisherigen Gedenken an Herbert Böhme, Willy Anker und die anderen Mutigen

Für Herbert Böhmes Tat wurde nach 1945 eine Gedenktafel im Dom zu Meißen eingeweiht.

Die Inschrift der Gedenktafel im Dom:

Herbert B ö h m e, 2. März 1879 -17. Juni 1971
Superindentent in Meißen von 1932 – 1950.
Wegen seines couragierten Auftretens in den letzten Kriegstagen 1945
und seiner Forderung, die Stadt Meißen nicht zur Festung zu erklären,
sondern bedingungslos zu übergeben,
wurde Herbert Böhme zum Tode verurteilt. Das Urteil konnte nicht mehr   vollstreckt werden.
Meißen blieb die sinnlose Zerstörung erspart.
Als “Retter von Meißen ” wird sein Andenken bewahrt.

1987 wird auf Beschluß der Stadt eine Straße nach ihm benannt.


Die für Willy Anker am 6. Mai 1975 feierlich eingeweihte Gedenktafel am Rathaus wird dagegen – geschichtsverfälschend –  für die SED-Propaganda instrumentalisiert. Auch ihm wird eine Straße gewidmet.

1991 wird die Gedenktafel verständlicherweise entfernt und der Straße zur Elbe ihr alter, sinnvoller Name zurückgegeben.
Wenig später erfährt Ankers Enkelin Dr. med. Monika Rösler in Berlin, daß die Gedenktafel am Rathaus entfernt, die Willy- Anker-Straße in Elbstraße zurückbenannt und auch die Willy-Anker-Oberschule umbenannt werden soll. Sofort wendet sie sich in einer Anfrage an den Oberbürgermeister gegen ein  e r s a t z l o s e s Entfernen der Tafel, begrüßt aber das Rückbennen der Willy-Anker- Straße.
Auszug aus ihrem Brief vom 03.02.1991:

Kopie: privat Kopie: privat

Der Oberbürgermeidter der Stadt, Dr. Bartosch gibt ihr daraufhin die Auskunft, daß die Gedenktafel entfernt und im Stadtmuseum eingelagert worden ist, weil es auf ihr eigentlich nicht um Willy Anker, sondern um die Benutzung seines Auftritts für eine geschichtsunwahre SED-Propaganda ging. Das hat Ankers Enkelin dann sofort eingesehen.

Auszüge aus dem Brief von OB Dr. Bartosch an Ankers Enkelin am 20.2.1991:

Kopie: privat

Seit Jahren aber fordern die VVN/BdA und ihr Ehrenvorsitzender Helmut Reibig eine neue, sachlich richtig beschriftete Gedenktafel am Rathaus.

Auch Peter Sodann unterstützte bei seinem Besuch in Meißen den Wunsch nach einer Gedenktafel am Rathaus für Herbert Böhme, Willy Anker und die anderen Mutigen vom April/Mai 1945.



 


Unterschriftensammlung für eine Gedenktafel an Anker, Böhme und die anderen Mutigen.


Fassen wir die wichtigsten Tatsachen abschließend noch einmal zusammen:

In der Kreisstadt Meißen gibt es im April/Mai 1945 wie überall – und hier bis zum Spätnachmittag des
6. Mai 1945 – eine grausame NS-Terrorherrschaft, der seit 1933 nicht wenige Meißner Nazigegner, Juden und u.a. auch Zwangsarbeiter zum Opfer gefallen sind. Verschärft wurde diese “Führer”-Despotie 1939 durch das Kriegsrecht und in Meißen seit dem 15. April 1945 zusätzlich durch den offiziell verkündeten Belagerungszustand. Es herrscht nun also „Standgerichtsrecht“ mit der zwingend vorgeschriebenen Aburteilung von Wankelmütigen, von Kapitulanten und Befehlsverweigerern „stehenden Fußes“ zum Tode. Jedoch dürfen “Verräter” zuletzt auch ohne Standgericht sofort hingerichtet werden.

Den gesamten April über und in den ersten Maitagen beherrschen in Meißen die NSDAP mit ihren Blockleitern, die Polizei, die HJ, SS und Wehrmacht, Volkssturmbataillone, und am 6. Mai bis zum Nachmittag immer noch Restgruppen der Wehrmacht das Stadtbild. Es gibt im April und bis zum 6. Mai außer Wehrmachtsaufmärschen, Volkssturm- und HJ-Appellen keine offenen oder gar öffentlichen Willensbekundungen von Bürgern gegen drohende Gefahren.

Heimlich sind jedoch einige Meißner im April/Mai 1945 unter Lebensgefahr praktisch bemüht, Gefahren von der Stadt abzuwenden. In Begleitung des Malers Alfred Borsdorf und des NSDAP-Mitglieds
Dr. Helmut Gröger soll Albert Mücke bei Stadtrat Kmoch vorsichtig vorgefühlt haben, ob sich die angekündigte Brückensprengung vielleicht noch abwenden läßt. Dem Metallarbeiter Arthur Starke (SPD) gelingt es mit Hilfe weiterer Mutiger, unter der Elbbrücke einige Sprengstoffkabel heimlich zu durchtrennen, sodass nach der Sprengung der Mittelteil der Brücke erhalten bleiben wird.
Am frühen Morgen des 6. Mai wird es dem Meißner Kommunisten Kurt Mathe und einigen weiteren Mutigen gelingen, auch unter der Eisenbahnbrücke über die Elbe 38 Sprengstoffpakete zu entfernen, damit sie nicht restlos zerstört werden kann. Das alles ist lebensgefährlich. Da es aber heimlich und verdeckt geschieht, können die “Täter” mit etwas Glück unerkannt bleiben.

Doch am 27. April sucht Superintendent Herbert Böhme in Begleitung zweier Pfarrer den Bürgermeister und den SS-Standortkommandanten in ihren Amtsräumen auf und bittet sie, wohl wissend, dass darauf der Tod steht, ganz offen und unumwunden, auf den ihnen befohlenen Kampf um Meißen zu verzichten. Herbert Böhme wird deshalb am Rathauseingang vom Meißner Polizeichef festgenommen und vom NSDAP-Kreisleiter zur Hinrichtung durch Erschießen oder durch den Strang bestimmt. Weil das von Gauleiter Mutschmann angeordnete Standgericht gegen ihn in Meißen wegen der Beteiligungsverweigerung zweier Juristen nicht zustande kommt, wird Herbert Böhme am 2. Mai einem Staatsanwalt im Landgericht Dresden am Münchner Platz übergeben, wo er am 7. Mai wegen der nahenden Roten Armee mit allen anderen Gefangenen freigelassen wird.
Der offene Auftritt von Herbert Böhme vor den Meißnern Nazi-Herrschern ist die erste
außergewöhnlich selbstlose und mutige Tat vom April/Mai 1945, unternommen mit dem ziemlich sicheren Tod vor Augen zur Bewahrung des Lebens von Menschen.

Am 2. Mai 1945 findet auf dem Markt eine große Gedenk-Kundgebung für den toten Hitler statt, auf der NSDAP-Kreisleiter Hellmut Böhme zur Verteidigung der NS-Herrschaft in der Stadt vor der Roten Armee und zum Kampf bis zum „Endsieg“ aufruft. In der NSDAP-Kreisleitung wird eine Gedenkstätte für Hitler eingerichtet, an dem die Meißner Blumen niederlegen können.
Der Kreisleiter befiehlt dann aber die Evakuierung der Zivilbevölkerung des gesamten Kreisgebiets.
Am 3., 4. und 5. Mai verkündet ein Lautsprecherwagen den Fluchtbefehl in den Straßen Meißens.
NS-Blockleiter suchen die Leute, die ihn nicht befolgt hatten, zu Hause auf und drängen sie zur Flucht, in einzelnen Fällen angeblich sogar mit drohend erhobener Pistole.

Am Vormittag des 6. Mai wollen einige der treuesten „alten Kämpfer“ unter den Meißner Ratsherren, also solche stumpfen Nazi-Schergen wie Bürgermeister Kaule, der einst die Meißner NSDAP in zunächst illegaler Form gründete, Stadtrat Schneider, der in Meißen den ersten SA-Reservesturm organisierte, und Landrat SS-Hauptsturmführer Dr. Reichelt, doch auch der eigentlich besonnene NS-Stadtrat Kmoch, im Rathaus über die Durchsetzung des Evakuierungsbefehls beraten.
Zwar hat sich Kreisleiter Böhme gegen 8 Uhr in seinem Büro in der Fährmannstraße schon erschossen. Aber der ins Rathaus gekommene fanatische „NS-Führungsoffizier“ vom Stellv. Generalkommando des IV. Armeekorps, Hauptmann Kurt Dittes, schwört die etwas ratlosen Ratsherren auf das befohlene Durchhalten ein.
Willy Anker, auf den die Wartenden auf dem Markt ihre Hoffnung setzten, hat sich in Begleitung von Friedrich Walter Zutritt zur Beratung verschafft. Er widerspricht dem Hauptmann heftig und fordert die NS-Bosse ebenfalls offen und unumwunden auf, den Befehl zur Evakuierung und Verteidigung der Stadt zurückzunehmen. Vorschriftsgemäß droht ihm der Offizier sofortiges Erschießen an.
Vom Rathausbalkon befiehlt der Hauptmann dann den auf dem Markt auf die Entscheidung Wartenden endgültig die Flucht aus der Stadt bis Mittag, wofür er laute Unmutsäußerungen zu hören bekommt. Sofort nach dem Hauptmann ergreift Willy Anker das Wort. Er ruft die Meißner vom Rathausbalkon unter lebhaften Beifallsäußerungen zur Verweigerung des ihnen vom Hauptmann erteilten Befehls und zur Bewahrung der Stadt vor Leid und Zerstörungen auf. Damit zerbricht er aber die Befehlsgewalt des Offiziers in aller Öffentlichkeit, vor den Augen und Ohren der Leute.
Ankers offener Auftritt im Rathaus und sein Aufruf vom Rathausbalkon – das war die zweite außergewöhnlich selbstlose und mutige Tat vom April/Mai 1945, unternommen mit dem ziemlich sicheren eigenen Tod vor Augen zur Bewahrung des Lebens von Menschen.
Dem NS-Führungsoffizier wäre nun auch gar nichts Anderes mehr übriggeblieben, und das schrieb ihm seine Befehlslage für so einen unerhörten Vorfall auch erzwingend vor, als seine eigene Macht mit einer demonstrativen Hinrichtung Ankers wiederherzustellen.
Jedoch trifft ein Wehrmachtskurier ein und flüstert dem Hauptmann eine alarmierende Nachricht ins Ohr, sicherlich über die auf den 6. Mai vorverlegte und bereits begonnene Großoffensive der Roten Armee in Richtung Prag. Dieser sagt es den Ratsherren und macht sich sofort aus dem Staube.
Mit Ausnahme Richard Kmochs lassen auch die anderen NS-Amtsträger sogleich alles stehen und liegen und verschwinden Hals über Kopf aus dem Rathaus, ohne dass es auf dem Markt bemerkt wird. Den Fluchtbefehl für die Meißner heben sie nicht auf, sondern leiten jetzt auch ihren eigenen Abgang aus Meißen ein.

Doch die auf dem Markt Wartenden handeln nun, wie es ihnen Willy Anker vorgeschlagen hat: Sie bleiben daheim, nehmen den Einmarsch der Roten Armee widerstandslos hin und wahren Ruhe.
Die Rote Armee muss beim Einzug in die Stadt nicht – wie andernorts – stellenweise Geschütz auffahren und vereinzelte Widerstandsnester in Schutt und Asche legen.
Es gibt nicht erneut Tote und Verletzte. Kein weiteres Haus wird beschädigt.

Erstmals hat also am 6. Mai 1945 Willy Anker auf dem Markt seine Stimme in aller Öffentlichkeit für die Bewahrung der Stadt vor Tod und Zerstörung erhoben. Und erstmals haben Minuten vorher viele Meißner dem Offizier ihren Unmut über die Kampfankündigung und den Fluchtbefehl kundgetan und dann den Aufruf Willy Ankers bejubelt.

Die Auftritte von Superintendent Herbert Böhme am 27. April und von Willy Anker am 6. Mai 1945 ragen aus den heimlichen Bemühungen anderer Mutiger um die Bewahrung der Stadt heraus, wegen ihres offenen Auftretens vor den Meißner NS-Herrschern, die von ihnen klipp und klar zum Verzicht auf ihre Befehle aufgefordert werden, und wegen der Bereitschaft der beiden, für ihr offenes Auftreten auch den sicheren Tod hinzunehmen.

Das alles sollte eines angemessenen öffentlichen Gedenkens wert sein.
Dabei geht es aber bei weitem nicht nur um Gerechtigkeit für die beiden Mutigsten unter den Mutigen.

Es sollte vielmehr vor allem um eine für die Gegenwart und Zukunft unseres städtischen Gemeinwesens wichtige Wertevermittlung für die heutige und künftige Generationen am konkret-anschaulichen Beispiel von Meißner Persönlichkeiten gehen.

Höchst couragierter Taten zur Abwendung hoher Gefahr für die Stadt sollte nicht zuletzt auch deshalb öffentlich gedacht werden, damit das Verantwortungsbewusstsein und die Einsatzbereitschaft von Bürgern für ihr Gemeinwesen wach bleiben.
Wir bitten den Stadtrat zu Meißen, am „Tatort“ von Böhme und Anker, dem Rathaus, eine sachlich beschriftete Gedenktafel anbringen zu lassen.

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