„Links geradeaus auf verschlungenen Wegen“ Gerhard Steinecke, Arbeitstitel der Willy-Anker-Biographie


Ein schwieriger Lebensweg im sozialen Gerechtigkeitsstreben
„Willy Anker und die anderen – Meißner Sozialdemokraten unter Hitler und Stalin ….


Die politische Herkunft Ankers und seiner Weggefährten

Das politische Milieu, in das Anker hineingeboren wurde und jahrelang mit prägen sollte, verstand sich vor dem Ersten Weltkrieg als Gegenwelt und im Keime schon als eine Art Gegenentwurf zur konservativ-monarchistischen Gesellschaft. Den halbabsolutistischen Strukturen im Königreich setzte die damalige SPD einen Demokratisierungskurs in Staat und Gesellschaft und die Lösung der sozialen Frage durch eine Umwandlung der bestehenden kapitalistischen Wirtschaftsverhältnisse entgegen. Die Beseitigung der offensichtlichen sozialen Missstände durch die Schaffung von Gemeineigentum an Produktionsmitteln (der Abschaffung jeglicher Ausbeutung) mutete allerdings von Anfang an etwas Religiöses an, erhoffte man sich doch von der erstrebten neuen Gesellschaft das Paradies auf Erden. … Wer jedenfalls nach der Jahrhundertwende aus schlimmster sozialer Armut kam wie eben Willi Anker, für den bedeuteten die grundlegenden sozialen Lösungsansätze der Sozialdemokraten eine Verheißung. Als siebentes von insgesamt 12 Kindern 1885 geboren, verlor er schon früh beide Elternteile und war von da ab fast auf sich allein gestellt: Bis zur Volksschulreife im Meißner Armenversorghaus untergebracht, absolvierte er danach eine Lehre als Drechsler. Zur SPD stieß Anker im Alter von 22 Jahren (nämlich 1907) fast folgerichtig, zumal sie in Meißen alles andere als eine politische Sekte war. Mit 8000 Mitgliedern im Kreis war sie zur Zeit der Weimarer Republik ein mächtiger politischer Faktor, der die Entwicklung der Stadt und des Kreises maßgeblich mitbestimmte: Sie verfügte hier über zahlreiche Vorfeldorganisationen im Jugendbereich, im Arbeitersport, auf dem Bildungssektor, im Genossenschaftswesen und bei den Freidenkern. Meißens SPD konnte sich sogar eine eigene Zeitung leisten, die – als „Volkszeitung für Meißen und Umgebung“ – allein an mehrere tausend Abonnenten ausgeliefert wurde. … In diesem Kreis ordnete sich Willi Anker seit 1923 als hauptamtlicher Ortssekretär der SPD ein. Größere Ambitionen als die hauptamtliche Koordinierung der örtlichen Parteiarbeit lassen sich in seinem Fall bis 1933 nicht erkennen. … Es dürfte aber auch ein Zeichen von Bescheidenheit und des Bewusstseins seiner eigenen Möglichkeiten gewesen sein, die Anker eher im Hintergrund agieren ließen. Das bedeutet jedoch nicht, dass er nicht auf in öffentlichen Auftritten für die SPD geworben hätte – eine Partei, die sich seit 1919 und speziell in Meißen zur staatstragenden Partei entwickelt hatte; die Demokratisierung schien jedenfalls verwirklicht, und an wirtschaftssozialistische Umgestaltungen war vorerst nicht zu denken.

Im Dritten Reich Verfolgung, Tod und erste Trennung
Im Frühjahr 1933 traf der Terror der Nationalsozialisten und ihrer Bürgerkriegsarmee – der SA – alle Andersdenkenden, vor allem aber ihre linken Gegner – Kommunisten, Sozialisten (SAP) und Sozialdemokraten. Verhaftet wurden zumeist die aktivsten Streiter der Parteien, im Falle der Meißner SPD fast ihre komplette Führungsriege: Dazu zählte natürlich Willi Anker, … Alfred Dobbert …Karl Bielig …, Richard Schmidt… . Das schwerste Schicksal hatte aber Anker erlitten, der … in das gerade hergerichtete KZ Hohnstein verbracht wurde. … Der weitere Weg der Sozialdemokraten war nicht untypisch für viele in die innere Emigration gezwungene SPD-Funktionäre: Ihrer Funktionen, Mandate und beruflichen Stellungen (Redaktion der „Volkszeitung“) verlustig gegangen, versuchten sie unter erschwerten Bedingungen zu überleben: Z.B. als Versicherungsvertreter, Lebensmittelhändler usw.  Anker versuchte zuerst im Gaststätten- und Baugewerbe unterzukommen, und fand dann bei einer Radebeuler Firma eine Anstellung (wie der Meißner Stadtchronist Gerhard Steinecke herausgefunden hat). Im Spätsommer 1944 wurde Anker noch einmal kurzzeitig verhaftet: Und zwar im Gefolge der allgemeinen Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Aufstandsversuch vom 20. Juli 1944!

Der Mai 1945 in Meißen
Willi Anker hatte den Mut, an diesem Tag vom Rathaus-Balkon aus gegen die Räumung der Stadt zu sprechen und für die kampflose Übergabe an die anrückende Rote Armee aufzurufen! In dieser Situation war er zwar nicht der einzige, der so handelte.… Ergebnis: Vieles an Substanz der Meißner Stadt konnte dadurch gerettet werden! … Gerhard Steinecke hat geschildert, wie die einrückende Rote Armee auf Anker aufmerksam wurde, und wie er auf das Amt des Oberbürgermeisters verzichtet hat. Und zwar zugunsten des Altkommunisten Albert Mücke! Anker selbst wurde stellvertretender Bürgermeister, doch im Vordergrund stand er nicht. Und durch Militanz zeichnete er sich in den nächsten Wochen und Monaten auch nicht aus. Anker wiederum tritt – wie schon im Sommer 1945 – auch jetzt (1948 M.R.) nicht sonderlich in Erscheinung (jedenfalls nicht im Sinne von Diktaturmaßnahmen – so die bislang belegbare Quellenlage!). Im März 1948 wird er sogar aus seinem Amt verdrängt, und nur kurzzeitig mit dem „Dezernat für Handel und Versorgung“ betraut. Als Rentner muss er es sogar erleben, dass er zumindest vorübergehend den Status eines Opfers des Faschismus verliert.“ … „Ankers Tat vom 6. Mai 1945 ist eine bemerkenswerte Leistung, die auch nicht durch seine spätere KPD/SED-Mitgliedschaft geschmälert wird. Nach jetziger Aktenlage – und hier bin ich mir mit Gerhard Steinecke einig – war Anker kein Mann der Diktatur, kein militanter Kommunist, auch kein Mann der Privilegien.“


Auszüge über Ankers Lebensweg aus dem Vortrag von Dr. Mike Schmeitzner, Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismus-Forschung (HAIT), am 7. November 2006 in Meißen. Veranstalter: Friedrich-Ebert-Stiftung:

Eine der SPD-Großkundgebungen gegen die Nazis um 1930. Auf dem Markt. | Foto: Stadtarchiv



DOKUMENTATION TEIL 1 - weitere Abschnitte:

Zwei widerständige Meißner unter der Naziherrschaft 1933 - 1945
Superintendent Herbert Böhme und SPD-Ortsvorsitzende Willy Anker

Meißens Schicksalstage im April und Mai 1945
Was geschieht seit Anfang 1945 in Meißen?

Was geschieht in Meißen am 6. Mai 1945
Vor der geschichtlichen Wende!


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