Auch Anker dachte und handelte menschlich


Die SED hatte also 1975 – wie wir schon sahen – den vor fünfzehn Jahren verstorbenen Anker voll vereinnahmt, was in der Folgezeit zu dem falschen Eindruck führen konnte, er wäre ein bedingungslos willfähriger Funktionär gewesen. Er war es aber nicht. Und er war damit nicht allein in Meißen. Vor allem Oberbürgermeister Albert Mücke (KPD/SED), der als überzeugter, aktiver Pazifist 1927 Kommunist geworden war, und an den der Albert-Mücke-Ring erinnert, ferner der Christ und Kommunist Helmut Reibig (KPD/SED), der sich ebenfalls große Verdienste für die Stadt erworben hat und ihr Ehrenbürger geworden ist, und der gleichfalls um Meißen verdienstvolle SPD-Ortsvorsitzende und spätere Bürgermeister Willy Anker (SPD/KPD/SED) handelten anders als so manche Funktionäre, wesentlich anders, als es die SED-Obrigkeit erwartete. Mücke, Reibig, Anker und andere Sozialisten folgten ihr Leben lang humanistisch verstandenen sozialistischen Idealen, und sie suchten danach zu handeln, auch wenn es ihnen Kritik und Sanktionen „von oben“ einbrachte. Wie viele andere Menschen gaben sie ihre Hoffnung nicht auf, daß sich in der DDR alles ja doch noch zum Guten wenden lassen würde.

Die Initiativgruppe für ein Gedenken an Anker, Böhme und die anderen Mutigen beantragt eine Gedenktafel am Rathaus jedoch nicht etwa für das Wirken von Willy Anker als SPD-Ortsvorsitzender oder als gewissenhaft tätiger Bürgermeister, sondern für sein Auftreten am 6. Mai 1945.

Einige Belege für Ankers Einsatz von 1945 bis 1950/60
Wir wollen hier nur einige Fakten einige Dokumente anführen, die für Ankers Wirken typisch sind.
Sie bestätigen die schon eingangs zitierte Aussagen unseres Ortschronisten Gerhard Steinecke:
Willy Anker … war nicht der Funktionärstyp, für den ihn die SED-Propaganda ausgegeben hat, … .“

Auch der Historiker Dr. Günter Naumann beurteilt, wie eingangs schon zu lesen war, Ankers Wirken als Bürgermeister und Stadtrat positiv: „Willy Anker war dafür bekannt und geschätzt, dass er menschlich handelte und helfend eingriff, wo er nur konnte.
(G. Naumann „Stadtlexikon Meißen“, Sax-Verlag 2000, S. 75)

Und der Otto Gläser  berichtet über Begegnungen mit Anker in den Nachkriegsjahren:
“Immer, wenn wir uns gelegentlich trafen, hatte er ein paar freundliche Worte. Jeder hörte dem anderen zu, und er fragte dieses und jenes, gab kurze freundliche Antworten und berichtete von den Vorhaben, die ihm Sorgen machten. … Nun war er der erste Bürgermeister nach dem Krieg und kümmerte sich um alles und um jeden. Und ich glaube, seine Stärke lag in seinem Einfühlungsvermögen und in seiner großen Hilfsbereitschaft und Güte den Menschen gegenüber.“ (Aus: “Otto Gläser: Wie ich Anker erlebte.” SZ 5.6.82)

Hier einige Tatsachen:

  • Nachdem Anker noch in den letzten Kriegstagen dabei geholfen hatte, sprengungs- und beschußgeschädigte Geschäfts-Auslagen und –Türen gegen Plünderungen zu vernageln, ging er am 7. Mai nicht ohne Erfolg gegen Einbrüche in Geschäfte und Lager im Triebischtal vor. Er sorgte dafür, daß manche Geschäfte öffneten und benötigte Waren, falls vorhanden, auch wieder verkauften.
  • Willy Anker ist als 2. Bürgermeister und Leiter des Hauptamtes besonders auch für das Funktionieren der Stadtverwaltung und für die schnelle, gerechte Lösung von Bürgerangelegenheiten verantwortlich. Er wird z.B. zwei Dezernenten kritisieren, die unfreundlich und hochfahrend mit Meißner Einwohnern umgegangen sind. Einen von beiden wird er wegen wiederholter Grobheit beurlauben.
  • Am 9. Juni legt Anker gemeinsam mit Dezernent Ziller im Schlachthof fest, dass er selbst ein Fuhrwerk zur Abfuhr der Müllberge vom Hof beschaffen wird, während Ziller Schmier- und Zylinderöl, 4 Flaschen Ammoniak für die Eisbereitung und Schussmunition für Rinder und Schweine besorgen soll.
  • Am 15. Juni schlägt Anker im Stadtrat vor, wie man mehr Gemüse und Obst für die Bürger heranschaffen könnte.
  • In einer Beratung Ende Juni 1945 mit drei Dezernenten lehnt er den Vorschlag ab, den Ratskeller als Regiebetrieb unter Leitung eines Rathausangestellten wiederzueröffnen. Er setzt durch, dass die Gaststätte dem früheren Pächter des Theater-Cafés verpachtet wird. Denn, sagt Anker: „Ein Gaststätteninhaber kümmert sich mehr um das Geschäft als ein Angestellter.“ Ein bemerkenswertes Bekenntnis zur Privatinitiative!
  • Ferner sucht er Hilfsgesuche von Bürgern zu realisieren, manchen Streit zwischen ihnen zu schlichten sowie vielerlei Beschwerden über ungerechte Entscheidungen einiger Verwaltungen zu klären.
Eine Geschäftsfrau bittet um Hilfe bei der Beschaffung einer neuen Ladentür, damit sie ihr Geschäft wiedereröffnen kann. Anker bittet sie zu einem Gespräch. Quelle: Stadtarchiv Meißen
Dankschreiben eines Möbelfabrikanten an Willy Anker, der die Eröffnung einer Verkaufsfiliale in Meißen ermöglichte.
  • Am 20. September fordert Anker den Bürgermeister von Steinbach schriftlich auf, für die sofortige Rückgabe der einer Frau E. bei einer Polizeikontrolle als Hamsterwaren beschlagnahmten Lebensmittel (5 kg Äpfel, 1 kg Quark, Hefe, Eier, auch Wäsche) zu sorgen.
  • Am 8. Oktober beschließt eine von Willy Anker geleitete Gemeindeboden-Kommission, Umsiedlern, Kleinsiedlern und auch Bauern mit weniger als 5 ha Land Bodenanteile aus dem stadteigenen Bestand zur Verfügung zu stellen.
  • Am 2. Nov. 1945 gründen Willy Anker, Albert Mücke, 4 SPD- und 4 KPD-Vertreter, 3 CDU-Vertreter, 2 Vertreter der katholischen und 4 Vertreter der evangelischen Kirche (darunter die Frau von Herbert Böhme) sowie 2 Vertreter der Gewerkschaft und des Jugendausschusses den Meißner Ausschuss der “Volkssolidarität”. Anker übernimmt die Wirtschaftskommission. Die sächsischen Kampagnen “Volkssolidarität gegen Wintersnot” und “Retter die Kinder!” werden auch in Meißen initiiert.
  • Anfang 1946 wird er mit der Leitung einer Kommission beauftragt, die Einsprüche von Eigentümern mit NS-Vergangenheit gegen die Beschlagnahme ihrer Grundstücke gemäß Befehl Nr. 124 der SMAD zu bearbeiten hat. An die sechzig Grundstücke werden von der Kommission sofort zurückgegeben, weil die Betroffenen Fürsprachen von Mitbürgern vorlegen können, die ihnen politisches Wohlverhalten bescheinigen. Ein halbes Jahr später erhalten dann alle Eigentümer ihre Grundstücke zurück, sofern sie auffindbar sind und sie übernehmen können.

Die nachfolgenden beiden Berichte schildern, wie Anker ungerechte Verwaltungsentscheidungen rückgängig machte: 

In seinem Leserbrief in der SZ vom 15.4.2010 schildert der in Meißen aufgewachsene Eberhard Jauch, wie Willy Anker es verhindert hat, daß seine Mutter, deren Mann als NSDAP-Blockwart vom NKWD verhaftet worden ist, nun auch noch aus ihrer Wohnung ausgewiesen wird:

„Mein Vater, NSDAP-Mitglied und -Blockwart in Meißen, gehörte ebenfalls zu den von Juni 1945 bis 1948 in Sachsenhausen Internierten. … Der NKWD-Befehl Nr. 00315 v. 18.4.1945  – von Berija als Generalsekretär der Staatssicherheit der UdSSR unterschrieben – legt unter Punkt 1.d den zutreffenden Kreis der zu Inhaftierenden fest: aktive Mitglieder der Nationalsozialistischen Partei. …

Auch wir wurden noch 1946 von der Tochter unseres Hausbesitzers vorgeführt. Ich kann mich sehr gut erinnern, wie ich mit dem Schulranzen fröhlich nach Hause kam. Meine Mutter empfing mich mit ernster Miene: >Leg den Ranzen weg, geh auf den Boden und dann in den Keller und hole die Kisten und Säcke. Wir müssen aus der Wohnung raus.<
Die Erlösung kam, als meine Mutter von einer Aussprache beim Bürgermeister Anker zurückkam und glückstrahlend erzählte, dass wir in der Wohnung bleiben können. Wenn ich aus heutiger Sicht die Entscheidung von Willy Anker … beurteile, muß ich gegenüber Willy Anker den Hut ziehen, wie er sich gegenüber meiner Mutter als Ehefrau eines NSDAP-Mitglieds und Blockwarts verhielt.“

In der Firmen-Chronik „Diplom-Optiker Schlosser“ kann man nachlesen, daß Willy Anker bewirkte, daß der aus England zurückgekehrte Dipl.-Optiker Kurt Schlosser nicht als Hilfsarbeiter in einer Meißner Abriß-Brigade arbeiten mußte, sondern eine Gewerbegenehmigung für sein Optiker-Geschäft erhielt:

Aus der Chronik der Optikerfirma Schlosser. Quelle: Günter Naumann “Meißner Chronik 1989-1996″, Meißen 1996, S. 149/150 Aus der Chronik der Optikerfirma Schlosser. Quelle: Günter Naumann “Meißner Chronik 1989-1996″, Meißen 1996, S. 149/150


  • Willy Anker wird 1945 zum Mitbegründer der Volksolidarität, wofür sich u.a. auch die Ehefrau vom Superintendenten Herbert Böhme engagierte. Die Sozialarbeit in der Stadt für Alte, Umsiedler und Arme in der Stadt liegt ihm ganz besonders am Herzen.
Nov. 1945: Parteien und Kirchen rufen zur Kleider- und Sachen-Sammlung der Volkssolidarität in Meißen auf. Foto: Stadtarchiv Meißen


  • 1949 wird Willy Anker Mitglied des Kuratoriums der „Otto-und-Emma-Hornstiftung“, deren Gründung der Meißner Weinhändler und Kunstsammler Otto Horn vor seinem Freitod am 7. Mai 1945 testamentarisch verfügt hatte. Wertvolle Kunstbestände waren inzwischen auf ungeklärte Weise verloren gegangen, sodaß der Nachlaßpfleger entlassen werden mußte.
  • 1950 wird Willy Anker zum Stellv. Leiter der Handwerkskammer Sachsen/ Kreisgeschäftsstelle Meißen gewählt.

Als Stellvertretender Leiter der Meißner Handwerkskammer bekennt sich Anker erneut – wie schon 1945, als es um die Übernahme des Ratskellers ging – zur Privatinitiative, als er am 15. August 1950 einen Vortrag unter dem Thema „Die Entwicklung der Privatinitiative ist nur im Frieden möglich“ hält.

Kopie: Stadtarchiv Meißen
  • Später wird Willy Anker auch wieder, wie schon vor 1933, als Schöffe für Jugendstrafsachen am Amtsgericht tätig. Jedoch vergißt er trotz aller Verpflichtungen als Rentner nie seine große Freude an ungezwungener Geselligkeit gemeinsam mit Freunden und in der Familie.
Elsa und Willy Anker 1956 beim Tanz auf einem Elbdampfer. Foto: privat
  • Von Willy Anker als ehrenamtlicher Kreis-Vorsitzender der „Volkssolidarität“ Meißen initiiert, praktisch-organisatorisch begleitet und mit Vorfreude erwartet, doch erst über ein halbes Jahr nach seinem Tode am 4. Juni 1960 eröffnet, aber immerhin an seinem Geburtstag am 17.1.1961, und nach ihm benannt:
    Veteranenklub der Volkssolidarität „Willy Anker“.
    Die Eröffnung des Klubs stellt den letzten Erfolg in Ankers Wirken für Meißen dar.

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