TEIL 5 - Rezension  zur Ankerbiografie von Gerhard Steinecke

 

Dr. phil.Walter Rösler (+), Dr. med. Monika Rösler

Gerhard Steinecke „Willy Anker. Ein Leben im Widerstreit“
Auf der inneren Titelseite der Biographie Willy Ankers findet sich der vom Autor hinzugefügte Hinweis: „Ein Ermittlungsbericht“ .

Und in der Tat: Schon ab dem 3. Abschnitt flicht der Autor immerwieder einmal kurz in Schrägschrift ein, wann, wo und wie er das Schicksal Willy Ankers Schritt für Schritt, Jahr für Jahr konkret ermittelt und wie ihn das auch insofern beeindruckt hat, als er manche Parallelen zu seinem eigenen Lebensweg gefunden und aus der unbeirrbar widerständigen Haltung von Anker in politisch prekären Lagen auch einigen Mut zur Bewältigung seiner eigenen, andersartigen, ihm in der DDR zugefügten politischen Strafen geschöpft hat.
Es handelt sich also in Ansätzen sogar um zwei Biographien in einer Schrift. Doch von der zweiten, der Steineckeschen, erfahren wir nur etwas ab 1983 und auch nur in kleinen Bruchstücken und nur sporadisch. Jedenfalls macht das die Lektüre aber noch spannender.

Weil sich Gerhard Steinecke schon frühzeitig mit heimatgeschichtlichen Studien zum Kriegsende 1945 beschäftigte, suchte er – wie auf den ersten Seiten zu lesen ist - auf Anraten des Stadtarchivars Helmut Reibig im Mai 1959 den Rentner Willy Anker, einst SPD-Stadtvorsitzender von 1923 bis 1933/45 und später SED-Vizebürgermeister bis 1948, in seiner bescheidenen Wohnung im 3. Stock des alten Hauses in der Burgstraße 29 auf, um ihn nach dem Geschehen im April/Mai 1945 in Meißen zu befragen. Obwohl ihn Reibig beruhigt hatte und obwohl ihn auch schon diese äußeren Wohnumstände darauf hinwiesen, daß er wohl keinem von den privilegienbewußten, harten und hochfahrenden Altkadern begegnen würde, war er dann doch von der Einfachheit, Aufrichtigkeit und menschlichen Wärme dieses Mannes so sehr angetan, daß dieses Erlebnis ihn Jahre später veranlassen sollte, Ankers Lebensweg auf die Spur zu gehen.

Und das tat der Verfasser dann außergewöhnlich fleißig und gewissenhaft, auch mit einem beinahe schon kriminalistischen Spür- und Scharfsinn. Er trug einen ganzen Berg an Aufzeichnungen, Dokumenten, Zeitzeugenaussagen, Bildern zusammen und wollte nicht aufhören, immer weiter nachzuforschen. Er stöberte z.B. in den Akten der von Willy Anker besuchten Meißner Schulen. Wir lesen in  der Biographie aber auch, welches sächsische Regiment es war, in dem Anker seinen Wehrdienst ableisten mußte, und die Einheit, mit der er 1914 in den Krieg zog und an der französische Front alsbald in Gefangenschaft geriet. Gern hätte Gerhard Steinecke den Lesern auch noch mehr über die Flucht des zum Vollwaisen gewordenen Kindes aus dem Haus seiner Pflegeeltern mitgeteilt, die ihn als Arbeitssklaven behandelten, sodaß Willy ausriß, jedoch bei Magdeburg von einem Gendarmen aufgegriffen worden ist und ins Meißner Waisenhaus zurückgebracht worden ist. Ob der kleine Anker wohl bis nach Hamburg oder nach Bremen wandern wollte? Nur seine Krankheit hinderte den Autor, auch danach in Magdeburger Polizeiakten zu recherchieren.

Obwohl Gerhard Steinecke ab 1992 als Meißner Ortschronist viele sehr zeitaufwendige Aufgaben und Verpflichtungen mit großer Gewissenhaftigkeit erfüllte und neben zahlreichen Artikeln auch so bedeutende Arbeiten wie „ Juden in Meißen“, „Drei Tage im April. Das Kriegsende in Leipzig“ und „Unser Meißen 1929 – 2004“ veröffentlichte, führte er seine Recherchen über Ankers Leben und sein Wirken im Widerstreit unermüdlich weiter.

Gerhard Steinecke schildert uns das Leben und Wirken Willy Ankers „links geradeaus auf gewunden Wegen“,wie der Autor es charakterisiert,besonders in den 20er, 30er und 40er Jahren so detailreich, daß es zur spannenden Lektüre wird.
Wir lernen einen nicht nur politisch aktiven und fleißigen, sondern recht lebensfrohen Willy Anker kennen. Der als Kind sein Elternhaus eingebüßt hatte, liebte seine Familie über alles und engagierte sich stets sehr für sie. Gemütliche und auch festliche Stunden daheim, doch auch gesellige Runden mit Freunden bei Bier oder Wein gefielen ihm sehr. Freude hatte er auch an Hunden.

Besonders aufschlußreich und höchst zuverlässig, weil auch auf neuen  Ermittlungs-ergebnissen beruhend, sind die Kapitel 11,12 und 13 über Ankers Handeln ab August 1944 und vor allem im April und Mai 1945. Hier mußte sich der Autor, sachlich prüfend und abwägend, aber auch mit Entstellungen des Einsatzes Ankers in d er SED-Propaganda sowie mit unhaltbaren Behauptungen und Vorwürfen gegen Anker in jüngster Vergangenheit auseinandersetzen.

Gerhard Steinecke ermittelte vor allem auch Näheres über alle am 6. Mai 1945 im Rathaus anwesenden NS-Amtsträger. Von NS-Stadtrat Kmoch abgesehen waren es  sog. „Alte Kämpfer“ der NSDAP, politisch stumpfe Schergen, die wegen ihrer eigenen nun schon übergroßen Verzweiflung angesichts der für sie höchstgefährlichen Lage wohl auch weiterhin zur Unterstützung jedes Verbrechens bereit gewesen wären. Ihnen trat Willy Anker als verantwortungsbewußter SPD-Funktionär Auge in Auge gegenüber, um offen und energisch den Verzicht auf die Evakuierung und Verteidigung der Stadt zu fordern.
Doch der nach Meißen gekommene leitende NS-Führungsoffizier Dittes aus einem Dresdner Generalstab, der sie ins Rathaus gerufen hatte, befahl ihnen das Erzwingen der Bevölkerungsflucht aus der Stadt und ihre hinhaltende Verteidigung gegen die nahende Rote Armee.
Ihm trat Anker besonders heftig entgegen und wurde dafür mit Erschießen bedroht. Als der Offizier dann auch noch den auf dem Markt wartenden Einwohnern vom Rathausbalkon die Flucht bis Mittag befahl, forderte Anker sie – in der akuten Gefahrenlage selbstaufopferungsbereit – sofort nach ihm zur Befehlsverweigerung auf. Wäre in diesem Moment nicht ein Wehrmachtskurier eingetroffen, dessen Nachricht den Stabsoffizier  zwang, aus dem Rathaus und der Stadt – wohl wegen der bereits unerwartet  nahen Sowjettruppen – überstürzt zu verschwinden, so hätte er Anker hinrichten müssen, um seine Befehlsgewalt wiederherzustellen.

Das war gewiss ein absoluter Höhepunkt in Ankers Wirken. Und er ist es auch in der Biografie, an der Gerhard Steinecke mit großem Fleiß weiterarbeitete.

Als der Autor jedoch den zweiten Teil, das Wirken Anker gegen Ende der 40er und in den 50 er Jahren bis zu seinem Tod 1960 schrieb, da begannen seine Kräfte wegen der schweren Krankheit immer mehr zu schwinden. Doch er bewältigte auch diesen Abschnitt.
Während die Biographie schon im Druck war, starb ihr Verfasser am 23. November 2013.

Und so ist die letzte Schrift des Verstorbenen sowohl ein sehr informativer und lebendiger Bericht über Willy Anker und zugleich ein eindrucksvolles Selbstzeugnis der Lauterkeit und Gewissenhaftigkeit des Autors geworden. Dankbar werden wir auch Gerhard Steineckes gedenken.



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