Der 8. Mai 1975 in Meißen.
Eine neue Gesellschaft herbeireden konnten Anker oder Mücke aber nicht

Weil die SED-Spitze 1975 überall in der DDR den „30. Jahrestag der Befreiung vom Hitlerfaschismus“ durch die „ruhmreiche Sowjetarmee“ festlich begangen sehen wollte – auch um ihrem „großen Bruder“, dem KPdSU-Generalsekretär zu gefallen - plante man auch in Meißen eine Großveranstaltung an diesem Tag. Hohe Sowjet-Offiziere sollten eingeladen werden.
Der Meißner SED-Führung fiel nun – 15 Jahre nach Ankers Tod – sein öffentlicher Aufruf zum widerstandslosen Empfang der Roten Armee wieder ein. Sein ohnehin des Gedenkens wertes Hervortreten an diesem Meißner Schicksalstag sollte propagandistisch eindrucksvoll in Szene gesetzt und zum ”Knalleffekt” der Meißner Festlichkeit werden. Dafür musste Anker aber – obwohl er den Sowjet-Sozialismus bis zum 2. Weltkrieg abgelehnt hatte – zum Freund der Sowjetunion von Anfang an und dann auch noch zum Kämpfer für den künftigen Weg der DDR verklärt werden. Denn zu der Großkundgebung vor dem Meißner Rathaus am 8. Mai 1975 waren Armeegeneral P.A. Kurotschkin, Held der Sowjetunion, mehrere hohe Offiziere und Kriegsveteranen, sowie  u.a. auch der Bezirksratsvorsitzende Manfred Scheler angemeldet.
Nicht nur eine phrasenhaft beschriftete Gedenktafel am Rathaus wurde feierlich enthüllt, die jedoch mit einer sachlich richtigen Inschrift, die auch die mutige Tat des Superintendenten Herbert Böhme angeführt hätte, durchaus sinnvoll gewesen wäre. Überflüssigerweise wurde auch noch die historische Elbstraße nach Anker umbenannt, weil er hier beim Artilleriebeschuss verwundeten Frauen erste Hilfe geleistet und später beschädigte Geschäfte notdürftig vernagelt hatte.

Die 1991 zu Recht vom Rathaus abgehängte Propagandatafel. Foto: G. Steinecke


Wie wir schon sahen, rief Willy Anker am 6. Mai 1945 die Menschen dagegen einfach nur dazu auf, den ihnen von einem Wehrmachtsoffizier verkündeten Fluchtbefehl zu verweigern, in Meißen zu bleiben, die Rote Armee widerstandslos zu empfangen, Ruhe und Ordnung zu bewahren und vor allem nicht zu plündern. Natürlich wurde die Ehrung Willy Ankers bei jenen Meißnern, die von seiner Tat am 6. Mai 1945 als auch von seinem positiven Wirken für Meißen als SPD-Ortsvorsitzender von 1923 bis 1933/45 und als Bürgermeister und Stadtrat bis 1950 wußten, prinzipiell begrüßt. Und an Phrasen hatte man sich gewöhnt. Erst in den 80-er Jahren, als es bald keine Hoffnung mehr auf eine Besserung gab, wurde man ihrer endgültig überdrüssig und man wies sie - angesichts der DDR-Realitäten - dann schon empört zurück.
1975 fiel vermutlich aber nur wenigen auf, was die Inschrift faktisch ebenfalls behauptete:
Aus “Worten” sei “Wirklichkeit” geworden, obwohl doch die Wirklichkeit gerade jetzt erst noch zum Wort drängte. Und Willy Anker wäre also im Besitz der wahrhaft übermenschlichen Fähigkeit gewesen, seine angeblichen „Worte“, die er so nicht gesagt hatte, zur „sozialistischen Wirklichkeit“ werden zu lassen, die er so, wie sie später geworden ist, eigentlich aber gar nicht wollte. Dennoch wurde die Inschrift der 1991 zu Recht vom Rathaus entfernte Gedenktafel von manchen irrtümlicherweise für wahr angenommen.
Hier nun der eingangs zitierte Beitrag von G. Steinecke, in dem er sich mit der Entstellung Willy Ankers in der SED-Darstellung auseinandersetzt. 


Bürgermeister Anker „versucht öfters, seine eigene Politik zu machen.“
Auch die SED-Kreisleitung war sich nach 1945 bald bewusst, dass Anker kein mit der neuen Macht bedingungslos verbundener Amtsträger ist. In einem internen Papier urteilte sie am 27.8.1947, dass er der Partei zwar “die Treue gehalten” habe, aber „verschiedene Male unangenehm aufgefallen“ sei, weil er als 2. Bürgermeister das der Partei gepflichtete politisch einwandfreie Verhalten nicht in jeder Beziehung aufgebracht hätte. „Er versucht öfters seine eigene Politik zu machen.“ Die Kreisleitung wollte deshalb nicht bestätigen, dass er für höhere politische Funktionen geeignet sei. (Quelle: Ankers SED-Akte im Sächsischen Staatsarchiv).
1948 wurden überall in Sachsen ehemalige SPD-Funktionäre und auch nicht willfährige Kommunisten wie Albert Mücke in verschiedenster Weise aus ihren Ämtern entfernt. In Meißen konnte dafür der Stadt-Status so geändert werden, dass der Posten des 2. Bürgermeisters entfiel und dem in Meißen durchaus beliebten Willy Anker nur noch die Aufgaben des Stadtrats für Handel und Versorgung zugewiesen werden mussten.



ÜBERSICHT ÜBER DIE GESAMTE WEBSEITE