Vorwort
Das Wirken meines Großvaters Willy Anker (17. Januar 1875 - 4. Juni 1960) ist eng mit der Stadt Meißen verbunden.
Es fiel in die Zeit der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und in die Nachkriegszeit. Einer der Höhepunkte war der 6. Mai 1945.
Meißen wurde an diesem Tag entgegen dem strikten NS-Befehl kampflos übergeben und blieb nahezu unzerstört.
Der damalige Superintendent Herbert Böhme (2. März 1879 - 7. Juni 1971) und der Sozialdemokrat Willy Anker spielten dabei eine herausragende Rolle, indem sie in offener Konfrontation mit den Nazi-Herrschern im April/Mai 1945 gegen die geplante Verteidigung für eine friedliche Übergabe der Stadt eintraten, unter Todesgefahr standen und wie ein Wunder überlebten. Unterstützt wurde dies in den letzten Kriegstagen von einer kleinen Gruppe verdeckt agierender Bürger.
Herbert Böhme forderte am 27. April 1945 von den NS-Oberen, auf die geplante Verteidigung der Stadt zu verzichten und wurde daraufhin mit angekündigtem Todesurteil in das Landgericht Dresden überführt.
Willy Ankers Beitrag an diesem 6. Mai war ein öffentlicher Auftritt auf dem Rathausbalkon, bei dem er trotz des ihm angedrohten Erschießens die auf dem Markt wartenden Einwohner aufrief, einem Fluchtbefehl und damit Verlassen der Stadt ins gefahrvolle Ungewisse nicht zu folgen und die Rote Armee friedlich zu empfangen.
Gedenktafel ohne Namen
Nun gibt es seit 2011 in Erinnerung an das Kriegsende in Meißen eine im Rathauspflaster eingelassene Gedenktafel. Sie ist in ihrer historischen Aussage kritikwürdig und nennt außerdem keine Namen – auch nicht die von Herbert Böhme und Willy Anker.
Das wurde vermieden, weil Willy Anker in der Nachkriegszeit Ämter in Meißen ausübte (Bürgermeister von 1945-48, Stadtrat für Handel und Versorgung 1948-1950) und weil er auch Mitglied der neugegründeten SED wurde. Dabei hatte Willy Anker – wie nachwendezeitlich mehrfach verlässlich bekundet – sein Amt nie repressiv missbraucht, sich in seiner Amtsausübung in keiner Weise schuldig gemacht und war nie politisch scharfmacherisch aufgetreten. Dennoch sollte sein Name nicht auf einer Gedenktafel erscheinen, selbst wenn es ausschließlich um eine Anerkennung seiner Tat an jenem 6. Mai 1945 ging und selbst wenn die Angehörigen von Herbert Böhme mit einer gemeinsamen Nennung der beiden auf einer Gedenktafel einverstanden waren.
So wurde am 24.3.2010 nach einer 4-jährigen Debatte schließlich von einer Mehrheit im Stadtrat ein namenloser Gedenktafeltext beschlossen, der außerdem ein Geschehen vorgaukelt, das es im April/Anfang Mai 1945 in Meißen überhaupt nicht gab.
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Gedenken an Herbert Böhme und Willy Anker in Meißen zu DDR-Zeiten
Herbert Böhme:
- Herbert Böhme-Straße seit 1987
- Gedenktafel im Dom
Willy Anker:
- Gedenktafel an den 6. Mai 1945 im Jahre 1975 am Rathaus, auf der Anker genannt wurde und die Tat Herbert Böhmes jedoch unerwähnt blieb.
Auf dieser rein propagandistisch ausgelegten Tafel wurden Willy Anker Worte in den Mund gelegt, die er am 6.Mai 1945 vom Rathausbalkon aus nie gesagt hatte.
- Zeitgleich wurde die historische Elbstraße in Willy-Anker-Straße umbenannt. Diese Tafel wurde 1991 entfernt und die Straße erhielt wieder ihren alten Namen.
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Die hier vorliegende Dokumentation setzt daher auf eine wahrheitsgemäße Rückerinnerung an das Ende des 2. Weltkrieges in Meißen.
Sie beschreibt die Situation im April und Anfang Mai 1945 noch unter Naziherrschaft, das widerständische Auftreten von Herbert Böhme und Willy Anker und nennt auch die Namen der verdeckt arbeitenden Mutigen.
Zum großen Teil ist sie wegen der genannten Vorbehalte vor allem dem Wirken von Willy Anker gewidmet – seinem Leben und seinem politischem Wirken ab 1923, somit auch seinem Kampf gegen Naziherrschaft sowie gegen Not und Elend in der Nachkriegszeit.
Schon mit Beginn der Gedenktafeldebatten begann die Diskussion um Willy Anker. Beistand kam von den Historikern – so von Experten des Hannah-Arendt-Institutes für Totalitarismus-Forschung Dresden.
Mit einem Vortrag zum Thema „Willy Anker und andere Meißner Sozialdemokraten unter Hitler und Stalin “ hatte Dr. Mike Schmeitzner am 6. November 2006 in einer öffentlichen Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftun im Theater Meißen referiert und am 18. Juni 2012 wurde von Dr. Thomas Widera seine im Auftrag der Stadt erarbeitete „Geschichtswissenschaftliche Expertise zu Willy Anker, Meißen 6. Mai 1945“ ebenfalls öffentlich im Meißner Rathaussaal vorgetragen.
Besonders erwähnenswert ist das Engagement von Gerhard Steinecke, Dipl. Historiker und Ortschronist Meißens, der sich wiederholt öffentlichkeitswirksam für einen wahrheitsgemäßen Umgang mit Willy Anker einsetzte – sowohl in den Medien wie auch schließlich in seiner 2013 erschienenen Ankerbiografie.
So erfahren wir, dass der 13-jährige Vollwaise Anker die Flucht von lieblosen und ausbeuterischen Pflegeeltern wagte, nach Wochen aber aufgegriffen nach Meißen in ein Waisenhaus kam (Gerhard Steinecke) und dass für solche Menschen wie Anker schließlich „die grundlegenden Lösungsansätze der Sozialdemokraten eine Verheißung“ waren. (Mike Schmeitzner)
1907 Eintritt in die SPD und ab 1923 als Stadtvorsitzender der Meißner SPD und wie Gerhard Steinecke in seiner Ankerbiografie schreibt „ein diszipliniertes Parteimitglied, das weder nach rechts noch nach links abwich“ mit Vorbehalten gegen Kommunisten, dann jedoch im KZ Hohnstein mit ihnen das gleiche Schicksal teilend (Foto der Häftlinge im Steinbruch) sowie auch in der Haft nach dem gescheiterten Hitlerattentat 1944, wo er vom mitgefangenen Kommunisten Gerhart Ziller von einem Zusammengehen beider Parteien nach Kriegsende überzeugt wird, was er schon im Januar 1945 mit Parteifreunden bespricht und nach 1945 mit Eintritt in die KPD/SED bekundet.
Geklärt ist auch sein Auftreten an jenem 6. Mai 1945 gegen den angeordneten Fluchtbefehl zur Verteidigung der Stadt – so seine Konfrontation mit einem fanatischen Hauptmann der Wehrmacht und NS-Führungsoffizier im Rathaussaal – in gleichzeitiger Anwesenheit der gesamten örtlichen Vertreter der NS-Macht, z.T. altgediente Kämpfer des Nationalsozialismus (Gerhard Steinicke).
Bedroht von standrechtlicher Erschießung schließlich der mutige Schritt auf den Rathausbalkon. Dr. Thomas Widera: „Mutig war der Schritt auf den Balkon zweifellos. Denn ein einzelner Schuß hätte die Wende zu einem kampflosen Verlauf…. verhindern können“. “Ankers Aufruf hat dazu beigetragen, daß sich in dieser gefährlichen Situation der Auflösung jeder Ordnung allgemein Vernunft und Besonnenheit durchsetzten“. (in „Geschichtswissenschaftliche Expertise zu Willy Anker, Meißen 6. Mai 1945“)
Eine große Resonanz kam auch von stadtgeschichtsbewußten Bürgern, was sich in einer Anzahl von Leserbriefen und Artikeln im „Meißner Tageblatt“ und in der „Sächsischen Zeitung“ sowie anderen Medien zeigte, wie auch in einem Zusammenschluß von Vertretern des VVN/BdA, der SPD und der Linken zusammen mit weiteren Unterstützern zu einer „Initiativgruppe Willy Anker“ im Dezember 2009, die über vier Jahre aktiv blieb.
Bereits Anfang 2010 begann diese Initiativgruppe mit Straßenaktion, Bürgergesprächen, Herausgabe und Verteilung eines Flyers für ein Gedenken an Willy Anker, Herbert Böhme und die anderen Mutigen, deren Namen hier auch genannt werden.
Hinzuzufügen ist: Gemeinsam mit meinem Mann Dr. Walter Rösler (1935-2016) hatten wir schon im Vorlauf über Jahre viele Fakten in Archiven (z.B. im Meißner Stadtarchiv und im Landesarchiv Dresden usw.) zusammengetragen und konnten so damit die Öffentlichkeitsarbeit dieser Initiativgruppe unterstützen, was schließlich 2013 auch zur Herausgabe einer Internet-Seite „Willy-Anker-Meißen“ führte, die sich zugleich auch ausführlich der widerständigen Tat und dem weiteren Schicksal von Herbert Böhme widmet.
Diese Internetseite von 2013 präsentiert Zeitgeschichtliches vor und nach 1945 in Text und Bild in drei Teilen – wie amtliche Dokumente, Fotos, Zeitungsartikel, Aussagen von Historikern und Zeitzeugen sowie Leserbriefe zum „Anliegen der Initiativgruppe für ein Gedenken an Willy Anker, Herbert Böhme und der anderen Mutigen im April/ Mai 1945 in Meißen.“
Sie ist weiter das Kernstück der nunmehr neuen Fassung dieser Internetdokumentation mit folgenden Ergänzungen: Aus der Ankerbiografie von Gerhard Steinecke wird gleich eingangs im Teil1 die erste Begegnung des Autors mit Willy Anker im Jahre 1959 wiedergegeben – was für ihn ein Schlüsselerlebnis war und ihn dazu motivierte, Ankers Lebensweg zu verfolgen und ihn vehement zu verteidigen Entnommen dem Flyer der damaligen Bürgerinitiative werden im Teil 3 der Dokumentation neben Herbert Böhme und Willy Anker auch all die anderen Mutigen namentlich genannt, die verdeckt agierend in der NS-Zeit wirkten.
Ferner schließt sich jetzt neu ein 4. Teil an, der kritische Stellungnahmen zu der seit 2011 existierenden fragwürdigen Gedenktafel im Rathauspflaster sowie als Beispiel einen historisch gerechten Tafeltext wiedergibt.
Und es gibt noch einen 5. Teil der Dokumentation – eine Rezension zur Ankerbiografie die von uns Eheleuten, in gemeinsamer Arbeit und federführend von meinem Mann, verfasst wurde, womit wir vor allem auch dem Autor Gerhard Steinecke ein Denkmal setzen möchten.
Mein Dank und der meiner Familie gilt auch all jenen Historikern und Bürgern sowie den Mitgliedern der ehemaligen Initiativgruppe „Willy Anker Meißen“ und ihren Unterstützern, die derzeit für eine zeitgeschichtlich richtige Klarstellung und Information sorgten und damit eine bleibende Leistung erbrachten, die mit dieser Dokumentation übergeben wird.
Monika Rösler
Berlin, den 21.07.2024
*Die Mitglieder und Gründer der „Initiativgruppe für ein Gedenken an Willy Anker, Herbert Böhme und die anderen Mutigen im April/ Mai 1945 in Meißen“: Rudolf Richter, VVN/BdA; Matthias Rost, Ortsvorsitzender der SPD; Andreas Graff, Stadtrat (Linke) und Bernd Matthes, Ortsvorsitzender der LINKEn. Unterstützer: Peter Sodann, Dr. Dr. Dr.h.c.G.Besier, Prof. Dr. Klaus Kinner, Dr. med. Monika Rösler